Vor einem Jahr hat die Kindergärtnerin aus einem Vorort von Kiew ihr erstes Rap-Video online gestellt. Seitdem wird alyona alyona in ihrer Heimat gefeiert. Höchste Zeit, dass die ganze Welt sie hört: Die Jury-Favoritin über ihren Sieg, Selbstliebe und Spits als persönliche Mission.
Herzlichen Glückwunsch, Alyona! Welche Gefühle wirbeln gerade in dir rum?
Erstmal vorweg: Es war schon unglaublich für mich, als ich gehört habe, dass ich überhaupt für den ANCHOR eingeladen worden bin. In der Ukraine war ich für drei große Preise nominiert, aber ich habe keinen gewonnen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass meine Musik hier interessant ist – ich dachte: „Was, Leute aus Europa wollen ‚Pushka‘ hören? Okay, ich bin dabei!” Und jetzt bin ich hier und halte diese Trophäe. Wow!
Deine Live-Performance hat die Jury umgehauen. Bist du dir selbst deiner Präsenz bewusst?
Es ist wirklich schwer zu sagen – ich sitze ja nicht während meiner Auftritte im Publikum. Manchmal verstehe ich selbst nicht, wie es sein kann, dass die Leute meine Power so extrem fühlen. Aber ich glaube an das, was ich mache. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass mir Leute zuhören, meine Energie spüren und verstehen, was ich sagen will.
Du hast mal gesagt, du magst Rap, weil sich damit besonders gut Geschichten erzählen lassen. Worum geht es in deinen Songs?
Ich rappe über Musik, über Frauen, über die Kraft von Frauen, über alles. Darüber, wie man zu der wird, die man ist. Über die eigene Herkunft, die Wurzeln und über Respekt. Ich spreche darüber, was ich sehe, wenn ich die Straße entlanglaufe, über die Menschen, die mich umgeben. Wenn ich zum Beispiel mit dem Zug fahre und ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter mithöre. Ich höre es, denke darüber nach und schreibe etwas. Es gibt auch einen Track über meine Mutter – ich glaube, alle Rapper müssen einen Song über ihre Mutter haben.
Dein Debütalbum „Pushka“ – ukrainisch für „Kanone“ – ist erst im Frühjahr erschienen. Wie geht es jetzt für dich weiter?
Ich plane bis Neujahr noch neun Songs zu droppen. Ich glaube das werden ein paar Singles und eine EP. Und ich kann dir noch ein Geheimnis verraten: Es wird eine Kollabo mit dem deutschen Rapper Olexesh geben. Er ist in Kiew geboren und als Kind mit seiner Mutter nach Deutschland gekommen.
Wie erklärst du dir selbst den krassen Erfolg deiner YouTube-Videos?
Ich kann mir immer noch nicht wirklich erklären, warum mir das passiert ist, aber habe ein paar Ideen. Zum einen trage ich in meinem ersten Video einen Badeanzug. Mit meinem großen Körper. Das ist etwas, dass Frauen in der Ukraine nicht machen. Und zum anderen rappe ich in meiner Muttersprache, was cool ist für Leute in der Ukraine. Ich mache gute Musik, rede über gute Sachen. Ich bin einfach normal – ich trage kein krasses Make-up oder sonst was. Ich bin eine junge Frau vom Dorf, die mit Kindern arbeitet und rappt.
Geht das denn: gleichzeitig Musikerin und Kindergärtnerin sein?
Ich habe im Dezember im Kindergarten aufgehört. Warum? Leute sagen mir das nicht ins Gesicht, aber wenn sie sich im Laden treffen, tratschen sie über die Erzieherin und wie sie gleichzeitig auch Rapperin sein kann. Es ist ein kleines Dorf. Für sie besteht Rap aus Stereotypen, aus Drogen, Bitches und so weiter. Und ich wollte auch keinen Aufruhr. Also hab ich gesagt: Okay, ich gehe. Aber ich besuche die Kinder mindestens einmal im Monat und bringe ihnen Geschenke mit. Ich vermisse sie.
Wie fühlt es sich jetzt an, wieder nach Hause zu kommen?
Ich bin so glücklich. Mir ist es so wichtig, diesen Preis mit in die Ukraine zu nehmen und meinen Landsleuten zu zeigen, dass unsere Musik den gleichen Wert hat wie europäische Musik. Wir sind nicht schlechter, wir sind okay. Ich hoffe wirklich, dass mein Erfolg heute für viele zur Inspiration wird.
In deiner Heimat bist du schon längst ein Vorbild für viele Frauen. Was rätst du denjenigen, die nicht so selbstsicher sind wie du?
Leute stellen mir oft Fragen zu Selbstsicherheit, zum Körperbild, zum Lifestyle, alles Mögliche. Ich sage ihnen, dass sie an sich selbst glauben sollen. Dass sie ihren Körper lieben sollen und sich fragen: „Was kann ich in dieser Welt bewegen? Was ist meine Botschaft, was ist meine Mission?“ Man muss sich selbst zuhören, um Antworten auf diese Fragen zu bekommen. Und wenn man mit seinem Leben etwas anfängt, dann wird das Leben besser.
Und was ist deine Mission?
Weißt du, der liebe Gott hat mir das Talent gegeben, zu schreiben und zu sprechen. Vielleicht ist meine Mission, jedem die Dinge zu erzählen, die mich bewegen – zum Beispiel das Umweltproblem, Bodyshaming, Mobbing. Es gibt so viele Dinge, die ich den Menschen erzählen möchte. Also glaube ich, meine Mission ist, das zu tun – durch meine Musik.